Das Projektionsgeschenk

In den Qualifizierungsseminaren für Alltagshelfer und Alltagshelferinnen sprechen wir unter anderem auch über Projektionen und ihre Wirkungen auf uns und die Welt. Diese kleine Geschichte verdeutlicht, wie Proejktionen uns beeinflussen und wie wir sie zum guten verwenden können. 

Eine Alltagshelferin und ich trafen uns bei einem Senior, um sie vorzustellen. Sie parkte ihr Auto gegenüber vor einem Minihäuschen, welches ich nicht wirklich erkennen konnte, denn es war schon halb dunkel. 

Als wir zurückkamen, stand da ein Bauer der fürchterlich sauer auf die Alltagshelferin war und sie anschimpfte, denn das Häuschen vor dem sie geparkt hatte war ein Wurst und-Eierspender. Der gehörte ihm und er war wütend, weil er durch das Auto nur noch eingeschränkt sichtbar war. Sie entschuldigte sich, ich entschuldigte ebenfalls das Versehen, aber das half nicht, er schimpfte weiter.


Die Alltagshelferin setzte sich schnell ins Auto und ich bemerkte ihre Angst, angesichts dieses wütenden Kraftpaketes. Ich entschuldigte mich dann nochmals, was ihn noch wütender machte, aber ich blieb innerlich ganz ruhig, er konnte mich keinesfalls anstecken mit seiner Wut. Er war sehr verärgert, weil seine ganze Arbeit mit dem Spender wohl anscheinend unfruchtbar war und Gebühren an die Stadt kostete das Ganze auch noch. 


Zuhause angekommen, dachte ich darüber nach, was zu tun sei. Ich wusste, dass meine Alltagshelferin jede Woche dorthin fahren musste zu dem Senior und in der Nähe parken. Also entschloss ich mich, das Verhalten des Bauern zu hinterfragen, auch, um meine Alltagshelferin zu schützen und ich fuhr anderntags mit einem kleinen „Entschuldigungsgeschenk“ wieder hin. Nachdem ich geklingelt hatte, öffnete sich die Tür einen kleinen Spalt und der Bauer sah mich fragend an. „Guten Tag, Lebensquell-Besuchsdienst“, sagte ich mein Sprüchlein auf. „Ich möchte mich nochmals entschuldigen, weil meine Alltagshelferin gestern Abend vor Ihrem Eierspender geparkt hat und Ihnen einen Deal vorschlagen.“ „Kommen sie rein, kommen sie rein“, sagte er und zog mich fast hinein in seinen Hof, wo sein Frau gerade sauber machte. Es tut mir so leid, dass ich sie gestern so angemacht habe, setzte er hinzu. Nun ja, entgegnete ich, das ist schon verständlich und ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen und Ihnen vorschlagen, gegen Entgelt ein Werbeplakat vom Besuchsdienst an Ihren Spender zu hängen, sozusagen als Nebeneinnahme. 


„Ich nehme kein Geld von Ihnen auf gar keinen Fall, das Plakat können sie so hinhängen“ entgegnete er, marschierte in seine Wurstekammer und schnitt eine Stracke ab, die er mir in die Hand drückte. „Ich will doch jetzt kein Geschenk von Ihnen“ wehrte ich ab, aber er ließ nicht locker, so dass es mir fast unhöflich erschien, das Geschenk nicht anzunehmen. „Wissen Sie", setzte er erklärend hinzu, "Wir sind vor ein paar Jahren hierher gezogen, es ist alles so viel Arbeit, wir ackern ohne Ende und haben uns alle erdenkliche Mühe gegeben, aber wir werden hier im Dorf nicht angenommen. Der Nachbar gegenüber parkt absichtlich vor dem Spender, so dass man ihn die ganze Zeit fast gar nicht mehr sieht, wir werden gemieden und finden hier keinen Anschluss, wir würden nie wieder hierher ziehen."


Wir unterhielten uns noch eine Weile über seine Situation, ich verstand immer mehr seine Verzweiflung und hatte Mitgefühl mit ihm. Es war also eine klassische Projektion die hier vorlag, denn das Parken vor dem Eierständer hatte sämtlichen Frust des Bauern aus dieser unsäglichen Lebens-Situation hervorgerufen und wir bekamen es ab, obwohl wir nicht wirklich die Verursacher waren. Gestern habe ich auf Arte gesehen, dass soziale Ablehnung, oder das Gefühl aus einer gewählten Gruppe ausgestoßen zu sein, mehr Krankheiten verursacht als Übergewicht, Rauchen oder Alkoholmissbrauch es vermögen, weil es unmittelbar großes Leid verursacht und Areale im Gehirn aktiviert, die sofort Stresshormone ausschütten die zu allen möglichen Erkrankungen führen.


Jemandem versuchen zu verstehen wenn er sich aggressiv verhält und nachzufragen, bzw. zu begreifen, dass oftmals nur Projektionen laufen und wir gar nicht persönlich gemeint sind, kann zu solch schönen Erfahrungen führen.


(C) 05/2024 Uta-Maria Freckmann